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Bahnhof Mons

12.10.2025 | Architektur | 0 Kommentare

Im Dienste der Linie

Wer Linien liebt, wird an Bahnhöfen wie diesem selig. Wer sie zu bändigen weiß, verliebt sich womöglich noch ein zweites Mal – durch den Sucher. Der neue Bahnhof in Mons ist kein Gebäude, er ist ein gezeichneter Gedanke. Eine Skizze aus Stahl, Glas und Licht. Und wie so oft, wenn Architektur zur Skulptur wird, liegt das Genie im Detail – und in der Geometrie.

Ich gebe es zu: Ich habe ein Faible für die Werke von Santiago Calatrava. Und auch wenn der Bahnhof von Mons nicht offiziell in seiner Liste steht, schreit die Handschrift in jeder Faser nach ihm – oder zumindest nach jemandem, der ihn verdammt gut studiert hat. Die schwebenden Dächer, die übertrieben schönen Tragwerke, das Spiel mit Licht und Schatten: Es ist diese fast schon tänzerische Symmetrie, die mich immer wieder einfängt. Hier wird gebaut, was sonst gezeichnet bleibt.

Fotografisch ist so ein Ort ein Geschenk – und eine Herausforderung. Denn Linien wollen nicht nur gesehen, sondern verstanden werden. Es reicht nicht, sie abzubilden. Man muss sie ordnen. Perspektivisch zähmen. In Beziehung setzen. Ich nenne das liebevoll: Linien sortieren.

Das Auge sucht in einem Bild nach Struktur. Nach einem Anfang, einem Ende, einem Weg. Die Aufgabe der Fotografie ist es, diesen Weg zu ebnen – mit Fluchtpunkten, Kontrasten, Wiederholungen. Und mit einem verdammt guten Weitwinkel. In meinem Fall: das 12–24 mm von Laowa, adaptiert an der Leica M 246. Eine Kombination, die das Beste aus zwei Welten zusammenbringt: deutsche Seele trifft chinesischen Mut.

Mit 12 mm wird aus jeder Ecke ein Fluchtpunkt. Jedes bauliche Detail gerät in Bewegung, wenn man es nicht sauber führt. Deshalb ist hier Präzision gefragt – und Geduld. Ich lasse mich führen vom Rhythmus der Formen, von Spiegelungen im Boden, von Licht, das sich seinen Weg durch die Rillen des Daches bahnt. Und wenn alles stimmt, wenn die Linien auf einmal miteinander sprechen, dann entsteht dieses ganz besondere Gefühl: Dass man die Ordnung hinter dem Chaos gesehen hat.

Architekturfotografie ist für mich kein Abbilden, sondern ein Übersetzen. Und manchmal, in Momenten wie diesen, fühlt es sich sogar an wie ein stilles Gespräch mit dem Architekten selbst. Als würde Calatrava kurz durch den Sucher schauen – und nicken.

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