Wenn Charakter schärfer ist als Perfektion
(Rubrik: Technik – Abbildungsleistung, Haptik & manuelles Fokussieren)
Manchmal trifft man auf Objektive, die so etwas wie ehrliche Haut sind. Keine Blender, keine aalglatten Perfektionisten. Das TTArtisan 21mm f/1.5 ist so ein Kandidat. Schon beim ersten Anfassen wird klar: Hier wurde nicht an Metall gespart. Schwer, massiv, kompromisslos mechanisch – ein echter Handschmeichler für alle, die ihre Kamera nicht nur halten, sondern spüren wollen.
Die Haptik erinnert mehr an klassische Werkstattkunst als an moderne Massenfertigung. Der Fokusring läuft mit angenehm sattem Widerstand, der Blendenring klickt in klar definierten Drittelstufen. Das fühlt sich an wie ein Werkzeug – nicht wie ein Lifestyle-Accessoire. Und genau so soll es auch sein.
Aber: So ehrlich das Gehäuse, so kompromissbereit muss man bei der Optik sein. Offenblendig bei f/1.5 liefert das TTArtisan in der Bildmitte respektable Schärfe – aber an den Rändern? Da bricht die Realität ein bisschen zusammen. Weich, unsauber, manchmal fast träumerisch. Wer bei voller Öffnung eine durchgehende Schärfe erwartet, hat entweder zu viele Werbeprospekte gelesen oder zu viele Zeiss-Objektive verglichen. Und ja – auskorrigierte Weitwinkelmonster wie das Zeiss ZM Distagon 21mm f/2.8 kosten ein Vielfaches. Kein Wunder. Physik kostet.
Doch die große Überraschung kommt beim Abblenden. Ab f/5.6 erwacht das TTArtisan. Plötzlich stimmen Randschärfe, Mikrokontrast und Gesamtwirkung. Landschaft, Street, Reportage – alles drin. Und das zu einem Preis, bei dem man sich fragt, ob da nicht irgendwo ein Rechenfehler vorliegt.
Jetzt zur Praxis mit Leica M: Wer denkt, er könne das 21er einfach wie ein 35er durchs Messsucherfenster komponieren, wird schnell merken – nope. Der Messsucher ist bei 28mm am Limit. Für 21mm braucht’s eine andere Lösung. Ich nutze den elektronischen Sucher von Leica – und ehrlich: Das macht richtig Spaß. Was ich sehe, ist genau das, was ich bekomme. Kein Ratespiel mit Rahmenlinien, kein „Passt schon irgendwie“. Gerade bei einem Ultraweitwinkel ist das Gold wert.
Und das Fokussieren? Klar, manuell. Und damit bewusster. Gerade bei 21mm braucht es Gefühl, Nähe und ein Auge für Tiefe. Das TTArtisan zwingt dich zum Hinschauen – nicht nur auf die Entfernung, sondern auf den Moment. Auf das, was im Bild wirklich zählt.
Meine Variante ist die für M-Mount. Ich habe sie auf Reisen in der Ukraine genutzt – oft in Situationen, wo es nicht auf Perfektion, sondern auf Intuition ankam. Und genau da spielt dieses Objektiv seine Stärken aus: Es ist kein Pixelpeeper-Traum. Es ist ein Werkzeug mit Ecken, Kanten und einer erstaunlich ehrlichen Seele.
Fazit:
Das TTArtisan 21mm f/1.5 ist kein Objektiv für Datenblatt-Fetischisten. Es ist eines für Fotograf:innen, die wissen, dass Charakter manchmal mehr zählt als technische Makellosigkeit. Offenblende? Weich an den Rändern. Abgeblendet? Stark im Ausdruck. Haptik? Ein Traum. Preis? Fast schon unverschämt gut. Wer bereit ist, sich auf den manuellen Workflow einzulassen – mit elektronischem Sucher und Bauchgefühl – bekommt hier ein Stück echtes Foto-Handwerk. Kein Hochglanzprodukt. Aber ein ehrlicher Begleiter mit Tiefgang.



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